Coolness eines Wartezimmers
Die Bundeswehr muss sich ihren Nachwuchs jetzt selbst suchen. In einem ehemaligen Schuhgeschäft in Berlin-Mitte hat sie deshalb einen Showroom eröffnet - doch richtig attraktiv ist der nicht.
Das Desaster beginnt schon mit dem ersten Telefonat am frühen Morgen. Als der Pressesprecher der Bundeswehr durchs Telefon trällert, er freue sich schon auf "einen coolen Termin" einige Stunde später. Cool. Was für ein Wort im Zusammenhang mit der Bundeswehr. Zumindest eines, das erste Zweifel sät, ob die Eröffnung des bundesweit ersten "Showrooms" der Bundeswehr tatsächlich etwas ist, was unter die Kategorie cool fallen könnte.
Vierter Stock in einem Bürobau an der Friedrichstraße in Berlin Mitte. Hier soll er beginnen, der Termin. An der Glastür hängt auf gelbem Grund und rot umrandet der Bundesadler. Darunter steht: "Karriereberatung Berlin Mitte". Die Bundeswehr muss das verstärkt machen, seit die Wehrpflicht ausgesetzt ist. Nachwuchs anwerben. Und das nicht nur in Kasernen. Zunehmend in Schulen. Oder wie jetzt hier mitten in der Stadt. Das Ziel: 60.000 Bewerbungen pro Jahr, damit die Auswahl groß genug ist für die 20 000 Neueinstellungen, die jedes Jahr notwendig sind, um demnächst die Zahl von 185 000 Soldaten und 55 000 Zivilangestellten zu halten.
Früher kamen potenzielle Bewerber mit einem Einberufungsbescheid in Musterung und konnten dann aus der Wehrpflicht heraus als Berufssoldaten verpflichtet werden. Heute gibt es keine Einberufungsbescheide mehr. Die Bundeswehr muss lernen, sich als ein Arbeitgeber unter vielen zu präsentieren. Dabei soll das neue Rekrutierungslokal in Berlin-Mitte helfen.
Rein geht es noch nicht. Erst werden Kameras und Tonausrüstungen der Journalisten von einem Sprengstoffspürhund "abgeschnüffelt", wie ein freundliche junge Dame erklärt, während sie auf ihrer Liste Namen abhakt. Es werde schließlich "die Ministerin erwartet". Die Ministerin! Aus ihrem Mund klingt es, als würde gleich die Allmächtige höchstselbst ihre gesegneten Füße auf die makellos neue Auslegeware setzen.
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Die setzt hier oben im vierten Stock ihre Füße heute allerdings nirgends hin. 40 Minuten sollen die Journalisten warten, dann würden sie wieder hinunter geführt auf die Straße, einmal ums Eck in die Georgenstraße. Und da werde dann von der Leyen nach einem nicht presseöffentlichen Gespräch mit Schülern mit diesen auf den Bürgersteig treten und dort "zwei Fotos machen", wie ein weiterer Pressemensch mitteilt. Nach den Fotos werde sie "ein Stückweit in ihre Richtung treten" und "möglicherweise sogar" zwei Fragen beantworten.
Zwei dutzend Demonstranten rufen: "Kein Werben für's Sterben"
Sapperlot, fährt es einem da heraus. Erst in unsere Richtung treten und dann "möglicherweise" und "sogar" zwei Fragen beantworten. Und das Ganze auch noch auf dem Bürgersteig, der wie später festzustellen ist, komplett ungesichert ist. Weshalb die Sache mit dem Sprengstoffspürhund dann doch etwas überambitioniert wirkt.
Was oft zu hören ist an diesem Vormittag: dass ein Pressesprecher eine Frage nicht beantworten kann, weil er nicht zuständig ist. Zum Beispiel die, auf welche Schüler denn die Ministerin gleich treffen wird. Oder wie hoch die Miete für den Showroom ist, direkt vis-à-vis des Bahnhofs Friedrichstraße. Früher war da mal ein Schuhgeschäft drin. Teure Gegend.
Leider kann hier auch nicht wiedergegeben werden, was die Minister denn auf dem Bürgersteig zu verkünden hatte. Sie war nicht zu verstehen. Auf der anderen Straßenseite stehen gut zwei Dutzend Demonstranten mit ihren Transparenten, darunter Abgeordnete der Linken. Bundeswehr-Gegner, die laut "Kein Werben für's Sterben" rufen.
Einige der jungen Menschen, die vorher noch mit von der Leyen im Showroom saßen, stehen jetzt frierend als Fotokulisse neben und hinter der Ministerin. Später sagt eines der Mädchen, dass sie schon einen Moment gebraucht habe bis ihr klar geworden sei, dass sie sich gerade mitten in einem Pressestatement der Verteidigungsministerin wiederfindet.
Zu sehen gibt es: einen blauen Teppich und graue Sitzbänke
Vorne von der Leyen, dahinter junge Menschen, dahinter der Eingang zum neuen Showroom der Bundeswehr. Schöne Bilder. Um mehr geht es ohnehin nicht. Und der Showroom selbst? Der soll helfen "möglicherweise empfundene Barrieren abzubauen", sagt ein Presseoffizier. Um dann "weitere Beratungsgespräche" führen zu können und zwar "auf der Grundlage terminlicher Absprachen". Das ist natürlich gut zu wissen.
Zu sehen gibt es im Showroom nicht wirklich etwas. Der Teppich ist blau. Graue Sitzbänke mit blauen Sitzmatten. Ein Hand voll blauer Sitzwürfel. Eine Videoleinwand auf die ein Beamer "Bundeswehr in Führung" geworfen hat. Ein Flachbildschirm auf dem ein Marineschiff zu sehen ist. Ein Plakat mit der Aufschrift: "Bundeswehr. Aktiv. Attraktiv. Anders."
Geradezu spektakulär ist dagegen die lebensgroße Schaufensterpuppe im Tarnanzug für Wüstengegenden, die in einer Ecke steht. Der Showroom, oder auch "Schauruhm", wie ein Presseoffizier der Bundeswehr sagt, dürfte damit einen ähnlich hohen Coolness-Faktor haben wie das Wartezimmers in einem x-beliebigen Berliner Einwohnermeldeamt. Die Bundeswehr und Ministerin von der Leyen scheuen eben keine Kosten und Mühen, um junge Menschen für den Dienst an der Waffe zu begeistern.
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Durch Artikel, Bilder, Erhebungsdaten und Interviews, Samen säen: Die Militarisierung der Jugend und was man dagegen tun kann dokumentiert in seinen Artikeln, Bildern, Umfragedaten und Interviews die Saat des Krieges, die in den Köpfen der jungen Menschen in vielen verschiedenen Ländern gesät wird. Aber es untersucht auch die Saat des Widerstandes gegen diese Militarisierung, die stabil und kreativ von zahlreichen Menschen gesät wird.
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